Interview mit Schauspielschülerin Marie Illies
10. April 2017
Das Interview führte das Theatermagazin „Theater-Schatz-Brief“
TSB: Hand aufs Herz, es muss doch arschkalt in dem Schaumbad sein! Vergisst du das beim Spielen, oder treibt es dich noch weiter an? Inwiefern verändert es dein Spiel gegenüber einer Produktion, sagen wir mal, im „Trockenen“?
MI: Mir ist zum Glück eigentlich nie kalt im Schaum, aber ich glaube, das geht nicht Allen so, die mitspielen. Ein paar sind schon am Frösteln, aber dann geht's ja auch schnell unter die warme Dusche. Aber wach bleibe ich durch den Schaum auf jeden Fall, in der Hinsicht finde ich den Schaum fürs Spielen eigentlich super. So wie für den Zuschauer das Bild entstehen kann, da ist etwas, was uns alle verbindet oder zumindest alle betrifft, wie zum Beispiel der Tod, ist er in dem Moment auch für mich als Schauspielerin immer spürbar, manchmal unbewusst und manchmal sehr bewusst. So zum Beispiel, wenn ich mich innerhalb der Aufführung leider unpraktisch in den Schaum habe fallen lassen und ich zusehen muss, wie sich eine dicke Schaumschicht langsam aber sicher vor meinem Gesicht schließt und ich hoffe, dass der Sauerstoff über nächsten Szene ausreicht, die ich noch so ruhig wie möglich abwarten muss. Und ich bin mir sicher, diese Ängste haben auch die Anderen das ein oder andere Mal beschäftigt, und das treibt uns gemeinsam an, so gut wie möglich aus der Sache raus zu kommen. Bei Woyzeck, das ja im Trockenen spielt, habe ich jedoch einen ähnlich Effekt. Dort entscheiden ja die Zuschauer durch ein Losverfahren, welche Reihenfolge wir spielen. Da sind wir auch abhängig und haben nicht alles allein in der Hand, und das macht wach. Es bringt zwar auch mehr Anspannung mit sich, aber eben auch Spannung, die viel Spaß macht.
TSB: Der Woyzeck Darsteller frisst so viele Erbsen mit einmal, dass man als Zuschauer das Bedürfnis hat zu schreien: „Hör auf!“. Was löst bei dir grundsätzlich einen Brechreiz aus?
MI: Ai, das sind, glaube ich, Marzipankartoffeln. Diese, die es oft in der Weihnachtszeit gibt. Ich war mal krank um die Zeit, und dann standen sie da, und der Geruch stieg mir in die Nase und das war ganz unerträglich. Diese Erinnerung hat sich so festgesetzt, dass ich die Jahre drauf Marzipankartoffeln nicht einmal ansehen konnte. Sonst fällt mir da grade nix ein, also ich bin hart im Nehmen. Das Erbsenessen musste ich mir zum Glück jedoch noch nie ansehen.
TSB: Nach einer Flut von Demütigungen und Misshandlungen ermordet Woyzeck seine Frau Marie. Wann würdest du zur Mörderin werden?
MI: Wow, was für eine Frage! Also Tiere morde ich über Ecken auf jeden Fall noch zu oft. Vielleicht möglicherweise, wenn ich so ein stressiges Leben führen müsste wie Woyzeck. Nein, aber ich würde wahrscheinlich eher mich umbringen.
TSB: Das Stück Massaker handelt vom Tod. Hattest du selbst bereits Erfahrung mit diesem Thema, haben sich deine Einstellung und deine Gedanken über das Thema Tod durch das Stück verändert?
MI: Vor allem in den Gesprächen über unsere Erlebnisse mit dem Tod und Tod als Tabuthema, die wir vor- und während der Proben hatten, habe ich gemerkt, wie wenig ich bis dahin dazu "gezwungen" war, mich mit dem Thema Tod auseinanderzusetzen und dass ich gar nicht weiß, wie ich mich verhalten werde, wenn er mir einmal sehr nahe kommt. Bis jetzt ist noch niemand in meinem näheren Umfeld gestorben. Das macht mich natürlich froh, aber da habe ich gemerkt, dass ich es vielleicht deshalb auch gar nicht so als Tabuthema wahrgenommen habe, was auch ein großer Gesprächspunkt bei uns war. Ja, die Gespräche und die Arbeit an den Figuren, die ja auch in unterschiedlichster Weise mit dem Tod konfrontiert werden und umgehen müssen hat mich da um einige Gedanken und Gefühlsnachvollziehbarkeit bereichert.
TSB: Du erscheinst eher zurückhaltend, bei Woyzeck spielst du jedoch u.a. die laute und wilde Ansagerin mit blauer Perücke. Wieviel Marie steckt in deiner Rolle jeweils?
MI: Hmm..ich glaube und hoffe, immer ein bisschen. Ich kann der Rolle ja nur das geben, was ich schon habe. Aber wenn ich für die Rolle noch etwas erarbeite und mir Gedanken zu etwas mache, was ich davor noch nicht getan habe, dann kann es ja sein, dass dabei dann ein paar Seiten der Figur, hoffentlich nur die guten, und Gedanken ein bisschen bei mir hängen bleiben und Gedankengänge, die sich die Figur macht, mir vielleicht mal weiterhelfen oder mir sogar Handlungsoptionen klar machen. Im Fall der Ansagerin war es aber, glaube ich, auch sogar ein bisschen so, dass ich für sie ein paar meiner anstrengenden Seiten verstärkt habe. Wenn ich in der Zeit der Proben privat auch mal etwas zu hoch gelacht habe, haben das ein paar Mitschüler dann direkt mit der Figur verbunden. Das fand ich erstmal blöd, weil ich das natürlich eigentlich gerne trenne. Aber das heißt wohl vielleicht auch einfach, dachte ich mir, dass sie einfach diese Tonlage in fünffach verstärkter Form abbekommen hat und viel mehr von mir auch nicht. Aber das nimmt sie mir bestimmt nicht böse, denn so können sich dann auch andere schön schnell in ihr wiederfinden.