Pädagoge Markus Menhofer über Kunst an der Schauspielschule
19. Januar 2019
Als ich mit ungefähr 14 Jahren beschloss, Schauspieler zu werden, war der wirkliche Grund dahinter, dass ich in der Theater AG unserer Schule einigermaßen erfolgreich war. Und sonst schulisch eher ein Versager. Aber das war mir im tiefsten Inneren egal. Denn es kam der Wunsch dazu, das zu machen, was ich auf Leinwänden in den Kinos bewundern konnte. Dafür brauchte ich Mathe und Physik nicht. Dann kam das Erlebnis, als Statist im Staatstheater arbeiten zu dürfen. Hier wurde ein Traum zu einer Wirklichkeit, die ich anfassen konnte. Ich stehe auf einer Bühne und Menschen schauen mir zu. Ist das schon Kunst? Fühlte sich nicht so an. Bis dahin waren das alles – aus heutiger Sicht – niedrige und egoistische Motive. Aber sie haben mir den Weg in ein Gebiet geöffnet, ohne das ich heute nicht leben möchte. Ich nenne es mal Kunst.
Wenn ich durch die Räume der Schauspielschule laufe, begegnet mir Kunst an allen Ecken und Enden. Und sie hat ganz unterschiedliche Ausdrucksformen und ganz unterschiedliche Motivationen. Und während mir die Kunst begegnet, in Szenen, Etüden, Improvisationen oder einem Gespräch oder in der Art und Weise, wie jemand geht oder spricht, weiß ich immer noch nicht, was Kunst eigentlich ist.
Kunst ist eine Gruppe junger Menschen, die müde sind und keine Lust haben, sich zu bewegen und noch in der Depression ihres Alltags gefangen sind, und irgendjemand schlägt ein Warm-up vor und es wird aufgestanden und ein blödes Konzentrationsspiel mit Ball beginnt. Und der Wunsch nach Leben und nach dem Ausdruck dieses Lebens entsteht. Die Depression spielt sich weg, die Kraft kehrt ein und alle wollen plötzlich – etwas tun. Ist das Kunst? Oder ist das die Voraussetzung, dass Kunst entstehen kann?
Kunst ist eine Gruppe junger Menschen, die hellwach sind und nicht abwarten können, zu zeigen, was sie sich überlegt haben. Die sich nicht mit unnötigen Warm-up-Spielen aufhalten will. Und was gezeigt wird, ist ansteckend und provokativ. Oder es funktioniert überhaupt nicht und ist – sorry – langweilig. Und aus der Frustration und der Langeweile entsteht eine neue Idee und plötzlich lebt die Bühne. Ist das dann Kunst? Nur weil mal was interessant auf der Bühne ist?
Kunst ist, die Angst, sich zu zeigen. Kunst ist, an dem Punkt angelangt zu sein, dass man überhaupt nie und zu keiner Zeit je wieder, etwas mit Kunst zu tun haben will - und das Überwinden dieser Angst. Und jemand zeigt etwas von sich und stellt fest, dass das auch gesehen werden will. Ist das schon Kunst – oder Psychologie?
Kunst ist, einem Autor, der schon 200 Jahre tot ist und seltsam verknotete Sätze geschrieben hat, eine Stimme zu geben, die gerade mal 20 Jahre alt ist und soeben entdeckt, was diese Sätze wohl mit dir und mir und jedem zu tun haben könnten und voller Überzeugung feststellt, dass man diese Sätze nur so sagen kann, wie sie da seit 200 Jahren stehen. Ist das die Kunst des Autors oder meine eigene?
Kunst ist, nicht zu wissen, was Kunst ist und sie dennoch zu machen. Christian Boltanski, dessen Ausstellungen weltweit berühmt wurden, hat die Behauptung aufgestellt, es gibt nur wenige wirklich kreative Momente im Leben eines Künstlers, in denen er wirklich etwas Neues erfindet. Dieser Gedanke kann frustrierend sein und gleichzeitig anregend, denn er gibt mir die Berechtigung, immer weiter den Moment zu suchen, an dem etwas wirklich Künstlerisches entsteht.
Als ich 14 war und Schauspieler werden wollte, war das der Versuch, meiner Welt, die mir unerträglich erschien, zu entfliehen. Das hat nicht funktioniert. Die Welt kam auf mich zu und hat mich gezwungen in ihr und mit ihr zu leben. Aber, Mann! - der Versuch war total richtig. Einer meiner wenigen wirklich kreativen Momente.