Ausbildungsende von Absolventin Ella Anschein
24. März 2020
Absolventin Ella Anschein über Ihre Ausbildung "Der Charme des Unerreichbaren":
Es ist eine spannende Sache um den Menschen und seine Gewohnheiten, seine Prägungen und seine Weltanschauung. Wenig ist schwieriger, als beständig aufzubrechen und in Frage zu stellen, was immer fest stand. Der Weg des Künstlers im Allgemeinen und des Schauspielers im Besonderen ist kein leichter, kein bequemer und schon gar kein glamouröser.
Die vielleicht wichtigste Lektion, die ich auf der Schauspielschule gelernt habe, widerspricht jeder modernen Selbstfindungsphilosophie und sie ist ebenso simpel wie schmerzhaft: Ich bin nicht „schon okay so“. Ich bin voller Fehler, komischer Angewohnheiten, privater Ticks, seltsamer Körperhaltungen und ich belüge mich immer wieder selber. Da komme ich in diesem Leben wahrscheinlich auch nie vollständig raus. Ich werde immer ein unvollkommener Mensch sein.
Und das witzige ist: Das ist überhaupt kein Grund, wehleidig zu werden. Das geht uns allen so. Und es definiert nicht den Wert des Einzelnen.
Aufgewachsen in einem Schulsystem, das nur auf Bewerten und Kategorisieren ausgerichtet ist, macht es keine Freude, fehlerhaft zu sein. Da geht es ums fertig werden, um Ergebnisse und darum, Dinge zu erledigen. Wie schade.
Ich habe drei der vier Jahre meiner Schauspielausbildung gebraucht, um diesen Druck weitgehend loszuwerden und zu verstehen, was die drei simplen Worte wirklich bedeuten, die wir vom ersten Tag an von den Dozent*innen gehört haben. „Scheitern als Chance“.
Wenn etwas nicht funktioniert, dann beschäftige Dich nicht damit, dass es nicht geklappt hat. Mach es nochmal. Und nochmal. Und nochmal. Bis es klappt. Die Sinnhaftigkeit dieser Philosophie war mir schnell klar, Fehler wirklich gehen zu lassen, habe ich trotzdem lange nicht geschafft. Bis ich den Charme des Unerreichbaren kennenlernte. Damit trat eine ganz neue Form der Leichtigkeit in mein Leben.
Als ich auf der Schauspielschule vorsprach, hatte ich keine klaren Erwartungen, wie das alles wird. Ich kannte Lernen lediglich nach dem einfachen Prinzip: Ich merke mir alles, ziehe logische Schlussfolgerungen und gebe diese Kombination dann wieder. Damit war ich in der Schule immer unverschämt gut durchgekommen. So, dachte ich, läuft das im Leben.
Mittlerweile glaube ich, ohne die Freude am eigenen Unvermögen und die neugierige Offenheit seinen Schwächen gegenüber, kann ein gesundes Dasein als Schauspieler*in nicht gelingen. Man mag mehr oder weniger mit Talent gesegnet sein, das wird aber nie reichen oder zufriedenstellen. Und im Gegensatz zu anderen Berufen genügt es nicht, Systeme zu verstehen und damit gut durchzukommen, denn es gibt keine messbaren Punkte, an denen Wissen und Fähigkeiten ausreichen oder fertig erlernt sind. Dieser Beruf ist eine Bereitschaftserklärung, das ganze Leben lang zu Üben. Und ich kann dabei nur glücklich sein, wenn ich mich darüber freue, das ich ganz viel noch nicht kann und wenn ich lerne, immer neue kleine Ziele zu setzen und über die Erfüllung dieser Ziele begeistert zu sein wie ein Kind zu Weihnachten.
Wenn ich früher eine Stunde etwas geübt habe, das mir schwer fällt, habe ich das mit großem Unmut getan, bin verzweifelt und war sehr wütend darauf, dass ich anscheinend nicht genüge. Gewisse Dinge hätte ich nie probiert ob dieser geringen Frustrationstoleranz. Heute freue ich mich diebisch über Erfolge. So war zu Singen immer sehr schambesetzt für mich und ich war der Meinung, ich könnte das halt einfach nicht. Ob meine Scham vor dem Singen nun Ursache oder Resultat meiner Schwierigkeiten war, ich singe mittlerweile sehr gerne und mir ist auch völlig egal, ob ich doppelt so lange üben muss wie jemand anderes, um ein Lied zu beherrschen. Das ist es wert. Ich muss gar nichts schon können, ich muss es nur wollen und mich auf den Weg machen.
Ich habe meinen Körper und meine Stimme als wunderbare Instrumente kennengelernt, die mir so viel geben, wie ich hinein investiere. Und auch wenn meine alten Gewohnheiten und Prägungen immer mal wieder um die Ecke kommen und mich austricksen, schaffe ich dann doch, daraus auszubrechen und sie in Frage zu stellen.
Der Weg zu dieser Einstellung war nicht leicht. Wie oft habe ich in der Ausbildung getobt, geheult, mich unverstanden gefühlt, keine Kraft und keinen Mut mehr gehabt. Um doch immer wieder weiter zu gehen und zu den Momenten zu gelangen, wo ich staunend feststelle, wie viel mit mir passiert ist und was sich alles entwickelt hat. Die Schauspielausbildung hat mich immer wieder von den Füßen gehauen. Jedes mal war mein Stand danach sicherer. Sie hat mir viel Freude bereitet und mindestens soviel Wachstumsschmerz.
Am Ende hat sie mich reicher gemacht. Sie hat den Grundstein gelegt, viel zu werden, womit ich nie gerechnet habe. Und auf der Bühne etwas sichtbar zu machen, was sonst im Verborgenen bliebe.