Wir sind viele und reiten ohne Pferd
Kölner Stadt-Anzeiger vom 03. Juli 2014
Ein Schlauchboot in der Fußgängerzone
Ein Schlauchboot in der Siegburger Fußgängerzone? Da blieben viele Passanten zunächst verdutzt stehen. Schauspielschüler der Studiobühne Siegburg führten dort nämlich das Stück „Wir sind viele und reiten ohne Pferd“ auf.
Mit beeindruckenden Bildern ließen Lisa Büttner, Lisa Hansmann, Viktoria Kubitza und Cynthia Oblas so manchen Passanten am Goldenen Eck in der Siegburger Fußgängerzone innehalten. Unter der Regie von René Böttcher hatte die Schauspielschule der Studiobühne eine eigenwillige Adaption von Martin Heckmanns globalisierungskritischem Stück „Wir sind viele und reiten ohne Pferd“ entwickelt.
Sie sparten nicht an Selbstkritik über unreflektiertes Gutmenschentum, über Widerstandsformen und suchten neue Wege, der noch nicht gelungenen Revolte gegen Ungerechtigkeit und Kapitalismus Schwung zu geben. Gescheitert aber ist ihr Versuch, mit einem Schlauchboot der Festung Europa zu entrinnen, um endlich frei zu leben (l.), mit dem sie in ihr Straßentheater einstiegen. Besetzungsversuch hieß die Szene, in der sie in Deutschlandfahnen gehüllt die Nationalhymne neu texteten (M.): „Blüh im Glanze dieses Wohlstands...“.
Das Publikum bezogen sie mit ein, drückten Zuschauern Wasserpistolen in die Hand und forderten sie, auf nicht zu zaudern , sondern zu handeln. Wasserfontänen regneten auf die Schauspieler nieder. Die gaben schließlich in der Schlussszene einzelnen der 17 500 an europäischen Küsten gestrandeten und gestorbenen Flüchtlingen in „Einfühlungsversuch“ einen Namen, den sie von Listen ablasen, hielten ihre Köpfe in Wassereimer (r.) und klagten an: „Ich habe es nicht geschafft, aber ich denke an Dich.“
Von Ralf Rohrmoser-von Glasow