Absolventen der Siegburger Schauspielschule bringen Kafka auf die Bühne
16. September 2023 - Kölner Stadt-Anzeiger
Nichts Böses ahnend wird ein Bank-Prokurist von ominösen Wächtern verhaftet, niemand sagt ihm warum, das Warten auf das Urteil zieht sich quälend in die Länge und wird niemals gesprochen: Bei Franz Kafkas „Der Prozess“ handelt es sich um einen unvollendeten Roman, in dem er 1914/1915 genau das auf jene Spitze treibt, was man heutzutage als kafkaeske Situation beschreibt.
Sperriger Stoff, beste Unterhaltung
Sicherlich hätte der Bonner Regisseur Volker Maria Engel einen leichteren und weniger sperrigen Stoff finden können. Doch im Gymnasium Alleestraße schafft er es tatsächlich, mit der Bühnenadaption des Romans bestens zu unterhalten, das zeigte die Generalprobe.
Die Farben Rot, Weiß und Schwarz dominierten Lichteffekte, minimale Bühnenbauten und Kostüme, in sieben Rollen waren Absolventen der Schauspielschule Siegburg zu sehen, die spielfreudig alle Register ihrer Kunst zogen.
Eva Buske, Sarah Forbat, Sakira Haurdic, Justus Hör, Daniel Lekomzew, David Lenz und Jonas Lubisch sind durchweg in verschiedenen Rollen zu sehen, alle aber auch immer wieder als Josef K., was jeweils dadurch vorbereitet wird, dass eine dunkle Hornbrille unter den Mimen weitergereicht wird.
Bewegungen werden am Schlagzeug akustisch untermalt, gesungen zu den Klängen eines Spielzeugpianos, einer rockig verzerrten Gitarre und einem E-Bass, alle von den Ensemblemitgliedern gespielt.
Trotz des eigentlich beklemmend ernsten Themas lässt Engel Raum für tiefgründigen Humor, etwa wenn in einigen Szenen die Darstellerinnen und Darsteller roboterhaft Sätze und Bewegungen wiederholen oder in einer hektischen Choreografie geschäftigen Büroalltag auf die Bühne bringen.
Immer wieder werden Schwarz-Weiß Videos auf einer großen Leinwand eingeblendet, in denen die Schauspieler das Geschehen ergänzen oder kommentieren. Die Aufnahmen entstanden unverkennbar in der derzeitigen Heimat der Schauspielschule, dem Turm auf dem Phrixgelände.
Überraschender Bogenschlag in die Gegenwart
Kafka erzählt von immer schlimmer werdenden Schuldgefühlen und Selbstzweifeln seines Helden Josef K, einer grotesk ausufernden Justizbürokratie und nimmt einen Unrechtsstaat vorweg, der 1933, nur neun Jahre nach seinem Tod, im Deutschen Reich Realität werden sollte. Die Inszenierung geht zeitlich noch weiter: Engel schlägt einen überraschenden Bogen ins Jahr 2023.
von Andreas Helfer