Die Bravorufe des begeisterten Publikums am Ende waren völlig verdient
General-Anzeiger Bonn vom 04. Juli 2016
Siegburgs Bürgermeister macht Theater
04.07.2016 SIEGBURG. In Eugène Ionescos absurdem Theaterstück „Das große Massakerspiel“ wurde durch den Regisseur René Böttcher die fiktive Stadt des Autors nach Siegburg verlegt. Böttcher lässt die zehn Darsteller in 40 000 Litern Schaum agieren.
Gefasst, mit kummervollem Gesichtsausdruck und, der ernsten Lage angemessen, Schwarz gekleidet, wandte sich Bürgermeister Franz Huhn am vergangenen Freitag per Videobotschaft aus dem Rathaus an die Siegburger Bürger: „Ich spreche zu Ihnen, um Ihnen zu sagen, was bei uns geschieht. Und was mit uns geschieht, ist unbegreiflich.
Wir sind überwältigt von diesem Sterben ohne erkennbare Ursache. Ich muss Ihnen mitteilen, dass die Nachbarkommunen Lohmar, Troisdorf, Hennef und Neunkirchen-Seelscheid uns den Zutritt verweigern. Siegburg ist von Soldaten umstellt. Niemand darf mehr herein, und Sie dürfen nicht mehr hinaus. Versuchen sie nicht zu fliehen, Sie würden den Kugeln der Schützen nicht entgehen, die die Ein- und Ausgänge überwachen.“
Zum Glück sprach Huhn nicht von einer realen Katastrophe, sondern seine Botschaft wurde in der Studiobühne zu Beginn der Premiere von Eugène Ionescos absurdem Theaterstück „Das große Massakerspiel“ auf die Rückseite der Bühne projiziert. Regisseur René Böttcher hatte somit die fiktive Stadt des Autors nach Siegburg verlegt. Eine Seuche ist ausgebrochen, Ärzte sind rat- und machtlos, die Menschen sterben zu Tausenden – einfach so, fallen um wie die Fliegen. Nahrungsmittel werden knapp, die bange Frage geht um, wer ist infiziert, wer nicht. Niemand traut niemandem mehr.
Ionesco hat den Umgang der Menschen mit dem Tod, ihre Angst vor dem Sterben und die grotesken wie nutzlosen Versuche, sich davor zu schützen, in 16 Szenen gesetzt. In denen wird darüber spekuliert, ob das Übel, dessen Anblick allein schon tödlich sein könne, wie einige meinen, auf ungewaschenes Obst und Gemüse zurückzuführen sei. Bei einem Mann, der aus dem Stand umfällt, vermutet ein Zeuge, „der Glaube an den Tod hat ihn getötet“. Wieder andere sind der Überzeugung, nicht die Reichen, sondern die Armen träfe die Schuld, „weil sie unhygienisch sind.“
Völlig schräg sind die zum Teil scheinbar sinnfreien Dialoge, in denen die Unbeholfenheit der Protagonisten deutlich wird. So berichtet eine Frau einer anderen, sie habe bei der Rückkehr in ihr Haus elf Leichen gefunden. Darauf überlegt ihr Gegenüber, wie die sich wohl vermehrt hätten. Vor oder nach dem Tod.
Wahrscheinlich maschinell, das sei ja heute möglich. Immer wieder machen sich die Akteure auch Gedanken über den Sinn ihres bisherigen Lebens: „Wir waren glücklich und wussten es nicht.“ Böttcher lässt die zehn Darsteller in 40 000 Litern Schaum agieren, der nach und nach die gesamte Bühne füllt und in dem die Akteure teilweise bis zum Hals stehen.
Wie Zombies tauchen sie zum Schluss einer Szene darin unter und anschließend in einer neuen wieder auf. Die Absurdität der Handlung wird optisch durch die Gestik und Mimik der Schauspieler noch getoppt. Wild zuckend und mit ständig wechselnden Grimassen hetzen die Schauspieler Karikaturen gleich durch fast zwei Stunden Aufführung ohne Pause. Die Bravorufe des begeisterten Publikums am Ende waren völlig verdient.
von Paul Kieras