Inszeniert hat es der Bonner Regisseur Axel Hinz für die Abschlussklasse der Schauspielschule Siegburg
General-Anzeiger Bonn vom 21. November 2016
Die ganze Welt auf einem Schiff
SIEGBURG. "Wir wollen Antworten und Erkenntnisse", erklären fünf feine Damen bei einem Kaffeekränzchen. Der, der ihnen Auskunft geben soll, ist Ismael, einziger Überlebender der "Pequod". "Abtrünnige, Verstoßene und Wilde, die Wale jagen, das friedfertigste Tier der Welt", zeigen sich die fünf verständnislos. Ismael versucht sich zu erinnern, wie es zur Katastrophe kommen konnte. So beginnt das Theaterstück "Moby Dick", das auf der Studiobühne Premiere feierte. Inszeniert hat es der Bonner Regisseur Axel Hinz für die Abschlussklasse der Schauspielschule Siegburg nach der Romanvorlage von Herman Melville.
Moby Dick ist die Geschichte von Kapitän Ahab, dem der berühmt- berüchtigte weiße Wal ein Bein abgerissen hat. Von Rachegelüsten zerfressen, verfolgt Ahab das Tier um die ganze Welt. Dabei ist er bereit, das Leben seiner gesamten Schiffsmannschaft aufs Spiel zu setzen. Zu der gehört auch Ismael, der zum ersten Mal auf einem Walfänger angeheuert hat, um beim Abenteuer einer jahrelangen Seereise sich selbst zu finden, wie er sagt. "Ich weiß nicht, wie es dazu kam", beteuert Ismael immer wieder.
Im gleichen Moment verwandeln sich die Damen in raue Seeleute. Rückblickend wird gezeigt, was sich an Bord ereignete. Wie Ahab immer besessener von seinem Plan wird und durch seinen Starrsinn droht, die gesamte Besatzung in den Untergang zu treiben. "Ich bin hier, Wale zu fangen, nicht meinen Kapitän zu rächen", erklärt Starbuck, um Ahab zur Umkehr zu bewegen. Vergebens.
Letztendlich unterwirft sich der Steuermann dem Kommando des scheinbar Wahnsinnigen ebenso wie die gesamte Mannschaft. Dann verwandeln die Walfänger sich wieder in die Damengesellschaft, die versucht, Vorzeichen auszumachen und erörtert, ob die hätten erkannt werden und die Tragödie dadurch hätte verhindert werden können.
Der Walfang wird von Melville als Metapher für die Ausbeutung der indigenen Völker und der Natur Amerikas durch die europäischen Kolonialmächte genutzt. Mit dem Konflikt zwischen Ahab und dem Wal beschreibt er die Grenzen der menschlichen Fähigkeiten. Thematisiert werden Vorhersehung und unabwendbares Schicksal, Zweifel und freier Wille. Der Pottwal trägt menschenähnliche Charakterzüge und wird als ein mit einem Gott vergleichbaren, scheinbar unsterblichen Wesen dargestellt, das Schiff steht für einen Mikrokosmos, zusammengesetzt aus Menschen aller Gesellschaftsschichten, unterschiedlichster Kulturen und Religionen, die alle das gleiche Ziel verfolgen. Durch die Hassfehde des Kapitäns ist diese Gemeinschaft dem Untergang geweiht. Moby Dick ist keine oberflächliche Abenteuerstory. Wer ohne Vorkenntnisse des Romans die Premiere besucht hatte, war möglicherweise überfordert. Denn die Inszenierung von Hinz, der nach eigener Aussage die wichtigsten Schlüsselszenen des Romans verarbeitet hat, war zu komplex und zu wenig erklärend, um die Botschaft zu verstehen. Da half auch nicht die von ihm dramaturgisch gelungene Idee, die Damenriege als geträumte Reflexion Ismaels einzusetzen. Für eine düstere, unheilschwangere Atmosphäre sorgte das Bühnenbild. Vor allem das aus Stühlen nachempfundene Beiboot vermittelte die perfekte Darstellung der lebensgefährlichen Arbeit von Walfängern vor 150 Jahren. Interessant war auch die ausschließlich aus Frauen bestehende Besetzung des Stücks. Allein durch das Überwerfen langer Mäntel und das Aufziehen von Mützen wechselten sie blitzschnell zwischen ihren Rollen als Traumfiguren und Schiffsbesatzung.
Von Paul Kieras