Ausnahmslos überzeugen sie als Regisseur, Bühnenbildner und Akteur in jeweils einer Person
General-Anzeiger Bonn vom 01. Mai 2016
Im Hamsterrad der Selbstoptimierung
01.05.2016 SIEGBURG. Vier in diffuses Licht getauchte, regungslose Figuren stehen auf der Bühne, starren Luftlöcher. Kaum hat sich der Zuschauer in seinem Sessel zurückgelehnt, bricht ein verbaler Vulkan aus.
Wie auf Knopfdruck sprudeln drei junge Frauen und ein Mann förmlich über. „Ich bin kommunikationsstark, flexibel und initiativ, wobei ich stets die Zielerreichung der Aufgabenstellung im Auge behalte.“, rattert „Kaffeepause88“ los.
Gleiche Phrasen dreschen „Mondgurke“, „Pegasus“ und „Mama-klaudi“. Schnell wird klar, dass hier Realität und digitale Welt verschmelzen und die Protagonisten für jene Menschen stehen, die hinter ihren User-Namen in einer virtuellen Welt agieren. Sie kämpfen mit ihren realen Psychosen und dem von ihnen erschaffenen virtuellem Konstrukt ihrer selbst – ein schizophrenes Krankheitsbild des Social-Internet-Jahrhunderts.
Was als völlig abgedreht, schräg und grotesk erscheint, erkennt das Publikum als gar nicht so weit hergeholt. Denn „Shitty Shitty Plem Plem“, so der Titel des Stücks auf der Studiobühne, zitiert frei aus Forumsdiskussionen und Internet-Werbeanzeigen, deren Absurdität erst durch die Präsentation der Schauspieler bewusst wird. Beispielsweise die Werbung für den BH „True Love Tester“ der Firma „Ravijour“, der sich laut Hersteller nur öffnen lässt, wenn beim Sex wahre Liebe im Spiel ist – diesen Dessousartikel gibt es tatsächlich.
Wie aus der Maschinenpistole geschossen hauen die vier den Besuchern bekannte Slogans um die Ohren, die an Banalität nicht zu überbieten sind und dennoch beim Käufer Wirkung zeigen. Das Stück reflektiert das gegenwärtige Konsumverhalten, das Gebaren im Internet und auf sozialen Plattformen, das Verschwimmen von Realität und Fiktion.
Auf der Bühne stehen eigentlich traurige Figuren, „Repräsentanten einer Generation, die Identität in erster Linie über Selbstdarstellung definiert. Je mehr sie sich verbiegen und inszenieren, desto größer wird ihr Bedürfnis nach Authentizität“, heißt es in der Ankündigung. Auf der Suche nach echten Gefühlen enden sie wie im Hamsterrad wieder in der Warenwelt. Die Trash-Komödie haben Viktoria Kubitza, Friederike Baldin, Kim Häberle und Lukas Maurer, Schüler der Schauspielschule Siegburg, im Rahmen einer jährlichen Gruppenarbeit selbst inszeniert. Ausnahmslos überzeugen sie als Regisseur, Bühnenbildner und Akteur in jeweils einer Person. Aufgrund der hohen Qualität haben sich die Leiter der Schauspielschule und der Studiobühne, René Böttcher und Meike Mielewski, entschlossen, die Inszenierung ins Programm der Studiobühne aufzunehmen.
“Shitty Shitty Plem Plem“-Premiere ist am Samstag, 30. April, um 20 Uhr auf der Studiobühne in Siegburg, Humperdinckstraße 27. Weitere Vorstellungen: 21. und 29. Mai sowie 10. Juni. Karten: www.theaterseite.de
Von Paul Kieras