Der ausgiebige Premieren-Applaus für Regie und Ensemble war mehr als verdient
Kölner Stadt-Anzeiger vom 08. Februar 2017
Publikum bestimmte die Reihenfolge
Siegburg. Am Anfang und am Ende steht der Mord. Der tödliche Messerstich gegen die untreue Marie bildet den Rahmen für die " Woyzeck "-Inszenierung der Studiobühne, die von dem jungen Ensemble um Regisseurin Sarah Kortmann gründlich gegen den Strich gebürstet wurde. Der früh verstorbene Georg Büchner (1813 - 1837) hatte sein Werk nicht abschließen können, vier handschriftliche Fragmente des Stücks wurden später in seinem Nachlass gefunden.
Kortmann macht aus der Not eine Tugend: Im Stile einer grellbunten Privatfernsehen-Tombola lässt sie das Publikum die Reihenfolge der zwölf Szenen auslosen, so dass eine willkürliche Anreihung dieser Episoden deutlich macht, warum Woyzeck zum Mörder wurde. Dabei schlüpft das Ensemble (Lukas Maurer, Jan Meier, Marie Illies, Carla Walter) in die wechselnden Rollen derjenigen Menschen, die den Soldaten Woyzeck (Vanessa Stoll) auf so fatale Weise prägen.
Dieser schlägt sich mit fragwürdigen Nebenjobs durch, um seine Marie und das gemeinsame Kind zu unterstützen. So ist er Laufbursche bei einem geistig eher schlichten Hauptmann und unterzieht sich fragwürdigen Experimenten eines offensichtlich erheblich gestörten Doktors. Als Marie ihn mit einem smarten Tambourmajor hintergeht, kommt es wie es kommen muss: "Jeder Mensch ist ein Abgrund. Es schwindelt einem, wenn man hinabsieht", erkennt Woyzeck und greift zum Messer. Dabei verschiebt Kortmann das Drama immer wieder in Richtung Groteske. So müssen sich Büchners 200 Jahre alte Dialoge gegen sinnentleerte Ballermann-Hits behaupten und der Tambourmajor erweist sich als doof-lüsterne Persiflage von Atze Schröder und Wolfgang Petry. Seine groteske Liebesszene mit der rothaarigen Marie zählt wohl zu den Höhepunkten der Inszenierung.
In einer weiteren rasant eskalierenden Szene wird Woyzeck dann zu heftigen Punkrock-Klängen gewalttätig angegangen, bis man in ihm schließlich das ikonisierte Folteropfer aus dem irakischen Abu Ghuraib erkennt. Wurde Woyzeck zum Täter, weil er ein Opfer ist, fragt Kortmann und versagt sich einer einfachen Antwort: "Ich bin nur ein armer Teufel", meint Woyzeck.
Der letztlich willkürliche Ablauf der Szenen ist eine Herausforderung für das Ensemble, das sich mit immenser Spielfreude in die Darstellung der grell gezeichneten Figuren stürzt. Bei einigen wenigen Szenen bleibt es bei Schauspielschul-Aktionismus, doch überwiegen die intensiven, atmosphärisch dichten Momente, in der die tragische Geschichte überzeugend in die Gegenwart geholt wird. Das ist auch ein Verdienst von Vanessa Stoll, die die schwierige Hauptfigur des Woyzeck mit unglaublicher Präzision spielt und dabei auch körperlich ans Limit geht. Der ausgiebige Premieren-Applaus für Regie und Ensemble war mehr als verdient.
Zuschauer mit einem schwierigen Verhältnis zu Erbsen sollten die Inszenierung allerdings mit Vorsicht genießen. Woyzeck unterzieht sich einer radikalen Diät mit dieser Hülsenfrucht, was auf der Bühne ebenso originell wie drastisch thematisiert wird.
"Woyzek" in der Studiobühne, Humperdinckstraße 27. Weitere Aufführungen am 18. Februar sowie am 11. und 24. März, jeweils um 20 Uhr, dann auch teilweise mit Robert Steffen in der Titelrolle.
Jeder Mensch ist ein Abgrund. Es schwindelt einem, wenn man hinabsieht
Von Markus Peters